Das Bundesgericht hat heute einen Entscheid (4A_74/2012) veröffentlicht, der vom 18. Juni stammt. Dieser befasst sich mit der Problematik der Darlehensgewährung einer Muttergesellschaft an ihre offenbar überschuldete Tochtergesellschaft. In Frage stand die Verantwortlichkeit des VR-Präsidenten der Muttergesellschaft.
Sachverhalt
X war VR-Präsident der Muttergesellschaft, welche im Jahr 2000 ihrer Tochtergesellschaft ein Darlehen im Umfang von 1,5 Mio. Fr. gewährte, wobei letztere gemäss Feststellung der Vorinstanz in diesem Zeitpunkt bereits überschuldet war. Dabei war X auch VR-Präsident der Tochtergesellschaft.
Kurz darauf fiel die Muttergesellschaft in Konkurs. Verschiedene Gläubiger liessen sich die Verantwortlichkeitsansprüche nach SchKG 260 abtreten. Es wurde eine Verletzung der Bilanzdeponierungspflicht oder der Sanierungspflicht bei Überschuldung (OR 725 II) in der Tochtergesellschaft geltend gemacht. Gleichzeitig und als Folge davon soll die Darlehensgewährung auch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht (OR 717) des VR gegenüber der Muttergesellschaft dargestellt haben.
Entscheid
Das Vorliegen eines Schadens, wie es OR 754 verlangt, war im vorliegenden Fall unstrittig. Fraglich war, ob die Darlehensgewährung eine Pflichtverletzung darstellte. Dazu führte das BGer unter Hinweis auf die Vorinstanz folgendes aus (E. 4.2):
"(Die Vorinstanz) erwog dazu, die Gewährung eines Darlehens an eine Tochtergesellschaft bringe grundsätzlich lediglich eine Verschiebung von Vermögenswerten auf der Aktivseite der Bilanz der Muttergesellschaft mit sich. In jedem Fall sei damit aber ein Mittelabfluss bei der Muttergesellschaft und ein Mittelzufluss bei der Tochtergesellschaft verbunden. Der entsprechende Mittelabfluss bei der Muttergesellschaft erfolgte dann in pflichtwidriger Weise, wenn keine Aussichten auf Rückzahlung mehr gegeben seien. Eine sanierungsbedürftige Tochter dürfe somit nur unter der Voraussetzung, dass ernsthafte und erfolgversprechende Sanierungsbemühungen in Angriff genommen würden, mit weiteren Mitteln der Muttergesellschaft alimentiert werden. Es stelle eine Pflichtverletzung dar, Gelder in nicht tragfähige Unternehmungen zu investieren, seien diese nun in den Konzern integriert oder nicht; eine Darlehensgewährung dürfe nach dem "arm's length principle" nur dann erfolgen, wenn eine solche auch zwischen unabhängigen Parteien gewährt würde."
Weiter stützte das BGer grundsätzlich die Vorinstanz in der Ausführung, dass für konzerninterne Darlehen das Prinzip der Drittgewährung (arm's length) nicht immer zu gelten hat. Jedoch war in casu die Tochtergesellschaft bereits überschuldet, weshalb die Darlehensgewährung ohne gleichzeitige Sanierungsmassnahmen in der Tochtergesellschaft dem Nachwerfen guten Geldes schlechtem Geld gleichkam. Eine Pflichtverletzung lag folglich vor.
Verschulden: Der VR-Präsident hat im Verfahren vor BGer gerügt, dass die Vorinstanz die "Business Judgement Rule" falsch interpretiert habe. Dazu führte das BGer mit Bezug auf die Vorinstanz aus (E. 5.1):
"Die Vorinstanz erwog, die Business Judgement Rule verlange eine grundsätzliche Zurückhaltung in der Überprüfung von Geschäftsentscheiden mit Ermessenscharakter. Sie schütze den Verwaltungsrat in weitem Umfang davor, beim Eingehen vertretbarer unternehmerischer Risiken bei externen Transaktionen, die sich aus Bewertungsfragen und der nicht vollständigen Kontrolle über die extern investierten Mitteln ergäben, eine Haftung zu gewärtigen. Bei Transaktionen unter Konzerngesellschaften könne dies jedoch nur beschränkt gelten und müsse ein strengerer Massstab gelten. Die Konzernmutter könne über die Geschicke ihrer 100 %-igen Konzerntöchter bestimmen und die Konzernleitung habe über die Belange der Töchter informiert zu sein."
Das BGer stützte damit die Ansicht der Vorinstanz, dass - trotz Business Judgement Rule - ein strengerer Massstab gelten dürfe, falls es sich um eine Transaktion im Konzern handle. Das BGer bejaht grundsätzlich die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule, welche besagt, "dass die Gerichte sich bei der nachträglichen Beurteilung von
Geschäftsentscheiden Zurückhaltung aufzuerlegen haben, die in einem
einwandfreien, auf einer angemessenen Informationsbasis beruhenden und
von Interessenkonflikten freien Entscheidprozess zustande gekommen sind". Das schliesst nach Meinung des BGer aber nicht aus, "in Bezug auf Geschäfte, bei denen ein
besonderer Wissensstand über die Faktoren zur Einschätzung des Risikos
vorhanden ist oder erwartet werden darf, wie namentlich bei solchen
unter Konzerngesellschaften, einen strengeren Massstab anzulegen, wie
dies die Vorinstanz tat. Bei der Beurteilung von
Sorgfaltspflichtverletzungen ist auf die Informationen abzustellen, über
die das Verwaltungsratsmitglied im Zeitpunkt der Pflichtverletzung
verfügte oder verfügen konnte".
Die Darlehensgewährung war in casu darum schuldhaft veranlasst worden, "weil der Beschwerdeführer aufgrund seiner
Organstellung von der prekären finanziellen Situation der Tochtergesellschaft wusste oder hätte wissen müssen und trotzdem die Darlehensgewährung bzw.
die Vermögensverschiebung innerhalb des Konzerns an diese Gesellschaft
zugelassen habe, ohne gleichzeitig für eine Sanierung derselben zu
sorgen". Weiter muss ein "Verwaltungsrat eine prekäre finanzielle Situation nicht nur
dann erkennen, wenn eine Bilanz darüber Aufschluss gibt, sondern auch
soweit andere Alarmzeichen im Zusammenhang mit der Geschäftsentwicklung
bestehen" (E. 5.2). Im übrigen lag keine unzulässige ex post-Betrachtung des Verschuldens des X vor (Stichwort handsight bias).
Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch die Übernahme der Tochtergesellschaft durch die Y Gesellschaft hat das BGer verneint.
Fazit
Damit hatte die Vorinstanz die Darlehengewährung zu Recht als Pflichtverletzung angesehen. Damit wurde die Beschwerde gegen die Gutheissung der Verantwortlichkeitsklage im Umfange von 1 Mio. Fr. abgelehnt.
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