Mit Entscheid vom 4. Mai 2012 (4A_412/2011;
zur Publikation vorgesehen) hat das Bundesgericht einmal mehr die
Rechtsprechung zu Art. 731b OR und Art. 736 Ziff. 4 OR bestätigt:
Sachverhalt:
Sachverhalt:
Im genannten Fall bestand in der X AG
folgende Pattsituation: Die anteilshälftigen (50%) Aktionäre A und B waren so
sehr zerstritten, dass sie keinen Beschluss über die Einsetzung einer
Revisionsstelle zustande brachten.
Nach Aussagen der Parteien haben sie sich
nie einigen können, weder im VR noch an einer GV. Es wurden demnach nie
irgendwelche Beschlüsse gefasst. In der Folge beantragte das Handelsregisteramt
beim Handelsgericht St. Gallen die Auflösung und Konkurseröffnung über die X AG
mangels gesetzlich zwingend vorgeschriebener Revisionsstelle (Art. 727 ff. OR i.V.m.
Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR). Das
Gericht setzte der Gesellschaft nochmals eine „Gnadenfrist“. Beide Streithähne
traten dem Verfahren als Nebenintervenienten (Art. 74 ZPO) bei, mit den
entsprechend gegensätzlichen Anträgen. A verlangte ebenfalls die Auflösung, B
hingegen die Einsetzung einer Revisionsstelle durch richterliche Verfügung
(Art. 731b Abs. 1 Ziff. 2 OR), um nicht gleich den wirtschaftlichen Wert des
Unternehmens zu vernichten. Das Handelsgericht entschied sich schliesslich für
die Auflösung der Gesellschaft.
Theoretische Grundlagen:
Das Bundesgericht führt aus (E. 3.1.3), dass die Behebung von Organisationsmängeln im Interesse verschiedener „Stakeholder“ (Arbeitnehmer, Gläubiger, Aktionäre etc.) liegt. Dementsprechend herrsche im Organisationsmängelverfahren der Offizialgrundsatz (Art. 58 Abs. 2 ZPO). Die Massnahmen in Abs. 1 von Art. 731b OR seien deswegen auch nicht abschliessend („insbesondere“). Der Gesetzgeber wollte dem Richter – wie auch in Art. 736 OR (Auflösungsklage) – hinreichenden Handlungsspielraum gewähren. Jedoch sei der Richter nicht völlig „ungebunden“. Auch hier gelte das Verhältnismässigkeitsprinzip, d.h., die einzelnen Massnahmen stehen in einem Stufenverhältnis. Das Verhältnismässigkeitsprinzip kennen wir bereits von der Auflösungsklage wegen wichtigen Gründen (Art. 736 Ziff. 4 OR). Die Auflösung nach Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR stellt eine ultima ratio dar, also das letztmögliche Mittel, das erst zur Anwendung gelangt, wenn sich mildere Mittel nicht als sachgerecht bzw. zielführend erweisen. In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass in Pattsituationen innerhalb des Aktionariats (sog. deadlocks) der Richter das fehlende Organ ernennen sollte.
Der Richter muss im Rahmen seines Ermessens
beachten, dass die strengen Voraussetzungen von Art. 736 Ziff. 4 OR durch
Berufung auf Art. 731b OR nicht unterlaufen werden. Mit dem Auflösungsgesuch
gemäss Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR
soll laut Bundesgericht dem Aktionär, der sich in der
Pattsituation einer Lösung widersetzt, kein Instrument an die Hand gegeben
werden, mit dem er die Auflösung der Gesellschaft erwirken kann, ohne dass
gleichzeitig die strengen Voraussetzungen einer Auflösungsklage gemäss Art. 736
Ziff. 4 OR vorliegen.
Damit müssen die im Leitentscheid BGE 136 III 278 genannten Voraussetzungen
erfüllt sein: Die Auflösung muss verhältnismässig sein, was eine Abwägung aller
auf dem Spiel stehenden Interessen voraussetzt. Das Interesse der Aktionäre und
Arbeitnehmer am Fortbestand der Gesellschaft ist gegenüber dem Interesse des
klagenden Aktionärs abzuwägen. Dabei sind grundsätzlich nur die finanziellen
Interessen der Aktionäre (vgl. Art. 680 Abs. 1 OR) von Bedeutung – jedenfalls bei
grösseren Gesellschaften. Im Resultat darf der Fortbestand als nach Treu und
Glauben nicht tragbar erscheinen.
Subsumption:
Im vorliegenden Fall (E. 3.3) hat das Handelsgericht diese Anforderungen offensichtlich nicht berücksichtigt, indem es die Gesellschaft nach Ansetzung einer Frist per richterliche Verfügung auflöste und sogleich in das Konkursverfahren schickte (immerhin mit der Empfehlung an das Konkursamt, die X AG als Einheit an A oder B zu verkaufen). Die richterliche Ernennung der Revisionsstelle wäre angezeigt gewesen. Auch den Kostenvorschuss für die Ausübung des Mandats durch die Revisionsstelle kann die X AG dank Einzelzeichnungsbefugnis von A bezahlen; insofern besteht also ebenfalls keine unausweichliche Blockade. Zudem können die Kosten eh direkt im Urteilsdispositiv der X AG übertragen werden (Art. 731b Abs. 2 OR). Dass sich die beiden Aktionäre wohl auch in Zukunft nicht zu gemeinsamem Handeln durchringen werden können, hat das Bundesgericht nicht als Argument gelten lassen: Denn gestützt auf Art. 731b OR und Art. 736 Ziff. 4 OR kann das Gericht Massnahmen anordnen, die für die Gesellschaft und die weiteren Anspruchsgruppen weniger einschneidend sind. So könnte zum Beispiel A per richterlich verfügte Versteigerung seiner Aktien zum Verkauf an B bestimmt werden. Damit kann dem Fortführungswert der Gesellschaft (going concern value) Rechnung getragen werden.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, hob den
Entscheid des Handelsgerichts St. Gallen auf und wies die Sache an die
Vorinstanz zur Ernennung der Revisionsstelle zurück.
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